Die Feindesliebe

Feindesliebe ist eine strenge Pflicht und wir lesen davon in der Heiligen Schrift. Bereits im Alten Bund lesen wir:

„Wenn du dem verirrten Rind oder dem Esel deines Feindes begegnest, sollst du ihm das Tier zurückbringen.“ (Ex 23,4) „Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden. An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.“ (Lev. 19,17-18).                               „Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken.“ (Spr. 25,21). Die Übertreter dieses Gebotes wurden mit der Rache Gottes bedroht. „Wer sich rächt, an dem rächt sich der Herr;  dessen Sünden behält er im Gedächtnis.“ (Sir. 28,1).

Sehr streng fordert die Feindesliebe auch das Heilige Evangelium: Wer den Feind nicht liebt, übertritt ein Gebot und handelt direkt gegen den  ausdrücklichen Befehl Jesu. In Mt. 5,44-48 heißt es: “ Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist.“ Daran werden also alle erkennen, dass wir einander lieben. Wer jemanden hasst, kann Gott kein wohlgefälliges Opfer darbringen. Dazu Mt. 5,23-24: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.“ Weiters können uns auch dadurch unsere Sünden nicht verziehen werden. Wir lesen in Mt. 6,15 dazu: „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ Im Vaterunser-Gebet beten wir: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. „

Von der Feindesliebe lesen wir auch bei den heiligen Vätern. Sie weisen hin auf diese vortreffliche Tugend. Der Heilige Bernhard sagt: „Feindesliebe ist die edelste Rache. Es kann an einem Feind keine edlere Rache genommen werden, als wenn man ihm großmütig verzeiht.“ Das hat sogar der Heide Seneca gefühlt, dass Feindesliebe eine heldenmütige Tugend ist. Der Heilige Gregor der Große sagte: “ Von einem Verfolger den Tod erleiden ist ein Martyrium in offener Tat, aber Beleidigungen zu verzeihen und den Feind zu lieben ist ein Martyrium in der Stille des Herzens“. Eine Aussage des Heiligen Augustinus: “ Nichts in der Welt ist bewunderungswürdiger als die Feindesliebe.“ Der spätantike römische Staatsmann Cassiodor drückt es so aus: „Es gibt keinen größeren Edelmut, als Schmähungen zu hören und aus sie nichts zu erwidern.“

Was ist das Unterscheidungszeichen der Christen von den Heiden? Ein frühchristliche Schriftsteller schreibt: „Christen lieben auch ihre Feinde, um sich von anderen zu unterscheiden. Heiden lieben ihre Freunde, der Christ muss aber auch seine Feinde lieben.“                                  Feindesliebe braucht der Verzeihung. Wir sind nie ohne Sünde und bedürfen immer der Verzeihung, wir können uns nicht selber verzeihen. Dazu sagt der Heilige Chrysostomus: „Oh, lerne doch einsehen, dass du dadurch, dass du anderen verzeihst, dir selbst Verzeihung erwirbst.“ Vom Heiligen Augustinus lesen wir folgendes: „Wir haben viele Mittel, durch welche wir die begangenen Sünden tilgen können, aber eines der wirksamsten ist, seinen Feinden zu vergeben und sie zu lieben.“ Worte des Heiligen Bernhard: „Wer den Feind nicht liebt, schadet sich selbst am meisten.“ Lassen wir nochmals den Heiligen Chrysostomus zu Wort kommen: “ Wenn du Rache übst, quälst du dich vor allem selbst, denn was gibt es Elenderes als einen erzürnten, feindseligen Menschen? Er hat nie Frieden.“ Sehr ausdrucksvoll sagt es auch der Heilige Athanasius: “ Wie kannst du deine Hände zum Himmel erheben und zum Gebete falten, solange du in Feindschaften lebst?“

Alle Einwände, die man gegen die Erfüllung dieser Pflicht hat,  sind Eitelkeit. „Feindesliebe ist unmöglich“, hört man oft sagen. Wie kann man so etwas behaupten? Man leugnet da entweder Gottes Befehle oder man lästert Gott. Man hört auch, dass gesagt wird, Gott verlange von den Menschen so unerbitterlich strenge Dinge, die man nicht zu leisten vermag. Es ist aber die Tatsache und es gibt auch Beweise, dass Feindesliebe wohl möglich ist, weil sie sowohl von Juden, Heiden und Christen geübt wird. Man widerspricht sich auch selbst, wenn man sagt, man sei nicht imstande seine Feinde zu lieben und ihnen dann  Zuneigung schenkt, wenn es gilt einen Vorteil dadurch zu erhaschen. Oder man sagt: Das Leid, das mir zugefügt wurde, ist zu groß! Vielleicht sollten wir da auf unseren Erlöser schauen! Hat man Jesus nicht alle Lästerungen nachgesagt, die die Bosheit nur erfinden kann? Hat man ihn nicht ans Kreuz genagelt und verspottet? Das alles hat man Jesus angetan und er hat sterbend noch seinen Feinden verziehen. Und wir könnten jemanden nicht verzeihen! Da kommt auch gleich wieder ein Einwand: Der Mensch, der mich beleidigt hat, ist ein boshafter Mensch und er ist es nicht wert, dass ich ihm verzeihe! Aber denken wir daran: Ist dieser Mensch nicht auch ein Ebenbild Gottes wie wir selbst? Macht Gott etwa eine Ausnahme und sagt, dass man boshafte Menschen nicht lieben darf?  „Wenn wir uns nicht rächen, dann werden unsere Feinde immer boshafter und fügen uns neues Leid zu“, so meinen wir. Da sind wir im Irrtum. Rache nährt nämlich das Feuer der Feindschaften und die mit reichlich Zinsen zurückgegebene Kränkung ruft gewöhnlich eine neue hervor. Hingegen ist die Liebe ein wohltätiges Pflaster, welches das Geschwür der feindseligen Gesinnung heilt. Denn wer ein erlittenes Leid stillschweigend hinnimmt und geduldig trägt, beschämt und gewinnt dadurch gegen seinen Gegner. Aber was würden die Leute sagen, wenn ich mich nicht räche? Da ging doch meine Ehre verloren. Welche eine Torheit! Sich am Feinde zu rächen ist schändlich und schmählich, den Feind zu lieben ist der größte Edelmut. Und wenn auch deine Ehre verloren ginge, bist du deswegen der Pflicht enthoben, das göttliche Gesetz zu erfüllen? Die Ehre Gottes hängt davon ab, dass du gehorchst: Ist deine Ehre mehr als die Ehre Gottes? Ich bin nicht der schuldige Teil! Soll nur jener, der zuerst beleidigt hat,  auch zuerst an die Versöhnung denken. Aber so denkt auch dein Gegner – auch er will nicht zuerst beleidigt haben, sondern dein ganzes Streben soll dahin geben, dass du dir das Verdienst  und die Ehre, in der Versöhnung der erste gewesen zu sein, nicht rauben lässt. Ich will meinem Feinde schon verzeihen, aber er muss sein Unrecht zuvor erkennen! Aber dann ist auf deiner Seite das Verdienst schon viel geringer – jener hat sich die Verzeihung gleichsam erkauft durch die Genugtuung, die er dir leistete. Und wie dann, wenn er sein Unrecht nie erkennt, oder wenn ein weit größerer Teil desselben dir zukommt, willst du ihm dann auch nie verzeihen? Ich habe meinem Feinde schon einmal, ja schon öfters  verziehen, nun kann ich es doch gleichgültig nicht mehr nehmen. Das Evangelium kennt im Verzeihen keine Grenzen: Es genügt nicht,  dem Feinde ein oder das andere Mal  zu verzeihen, sondern so oft, als  er dich beleidigt, sollst du ihm vergeben. „Also dann trat Petrus zu ihm und sprach: Herr wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzig mal.“ (Mt 18, 21-22)

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