Karfreitag C 2022

Eine Gruppe von Gymnasiasten unternahm mit ihrem Lehrer einen Ausflug. Sie spazierten um einen zugefrorenen See. Trotz des strikten Verbots des Lehrers gingen einige Jungen auf das Eis. Sie jagten sich ein paar Minuten lang gegenseitig darauf. Plötzlich brach die dünne Eisschicht und die Jungen fielen ins Wasser. Auf ihre schrillen Schreie hin kam der Lehrer angerannt. Einer der Jungen, der nicht schwimmen konnte, begann zu ertrinken. Der Lehrer sprang ins Wasser, um ihn zu retten. Es gelang ihm, ihn an das Ufer zu ziehen. Aber das Herz des Lehrers konnte die Anstrengung nicht ertragen. Er hatte einen Herzinfarkt und starb. Es gab eine Beerdigung. Der gerettete Schüler stand über dem Grab seines Lehrers. Mit Schmerz und Scham betrachtete er seinen Sarg und dachte nach: Dass ich noch lebe, verdanke ich meinem guten Lehrer. Für jeden Tag, jedes Jahr meines Lebens stehe ich in seiner Schuld. Dass er tot ist, ist meine Schuld. Wenn ich gehorcht hätte und nicht auf das Eis gegangen wäre, hätte ich weiterleben können. Er hat sein Leben für mich geopfert… Dieser Junge wird sich sicherlich bis zu seinem Tod mit Schmerz im Herzen und gleichzeitig mit Dankbarkeit an seinen Lehrer erinnern.

Heute ist Karfreitag. Groß in seiner Bedeutung. Überall in der christlichen Welt erinnern sich heute gläubige Menschen daran, dass das, was an jenem ersten Karfreitag geschah, eigentlich wegen uns, wegen unserer Sünden, geschah. Der Sündenfall, der Ungehorsam der ersten Menschen, war die Ursache dafür, dass diese Sünde auf die gesamte Menschheit übertragen wurde, die dadurch die Gnade verlor, mit Gott im ewigen Leben im Himmel zu leben. Aus Gottes unendlicher Liebe heraus wurde der Sohn Gottes auf die Erde gesandt, der durch seinen Tod am Kreuz für uns gestorben ist, den Preis für uns bezahlt hat, uns durch seinen Tod erlöst hat und uns den Weg zu Gott wieder eröffnet hat.

Und so erinnern wir uns jedes Jahr an seinen Tod am Kreuz und knien vor seinem Grab nieder. Wir sind ihm dankbar für diesen Erlösungstat, denn durch seinen Tod sind wir von der ewigen Verdammnis erlöst worden. Deshalb haben wir gestern Abend darüber gesungen: „Durch dein ehrbares Blut, Christus, hast du uns vom Fluch des Gesetzes erlöst. Du hast dich ans Kreuz nageln lassen und deine Seite mit einem Speer durchbohrt. Sie haben die Unsterblichkeit für die Menschen gewonnen. Ehre sei dir, unserem Erlöser.“ (Tropar). Nicht nur dieser eine Hymnus, sondern alle liturgischen Texte und Riten dieser Tage sind von tiefer Ergriffenheit erfüllt, und das gilt auch für die Herzen derer, die Gott lieben. Deshalb knien wir vor seinem Grab nieder, um unserem himmlischen Vater für seine Liebe zu danken, mit der er seinen Sohn sandte, um uns durch seinen freiwilligen Tod zu erlösen, damit wir ewig leben können.

Eine fromme Legende erzählt, dass ein junger Mann seine Heimat verließ, um in der Ferne ein Leben ohne Grenzen zu führen. Als er die Straße entlangging, begegnete er einem ernsten Mann, der in einen weiten Mantel gehüllt war. „Wohin gehst du?“ Der Mann fragte ihn. „Warum interessieren es Sie“, antwortete der junge Mann unfreundlich. Der Mann legte seinen Mantel ab  und der Heiland selbst stand vor dem jungen Mann. Eine tiefe Wunde in seiner Seite, sein Herz durchbohrt. Und der Erlöser sagte mit sanfter Stimme: „Siehe her! An dieser Wunde in meinem Herzen wirst du erkennen, wie sehr ich mich darum sorge, wohin du gehst.“ Für uns, für unsere Sünden, hat der Sohn Gottes gelitten und ist am Kreuz gestorben. Und wir sollten nicht überrascht sein, wenn er oder seine Kirche uns daran erinnert. Jeder einzelne von uns ist für ihn wichtig, egal welchen Weg wir in unserem Leben gehen. Daran wollen wir heute besonders denken, wenn wir uns ehrfürchtig vor dem Grab Gottes verneigen.

 

 

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